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Essstörung: Von Magersucht bis Binge-Eating

Für die meisten fällt das Thema Essen ganz klar in die Kategorie Genuss: Man freut sich über einen geselligen Grillabend, geht gerne in ein Restaurant oder zelebriert das gemeinsame Kochen und Essen zu Hause. Sich über gutes, leckeres Essen zu freuen und es in vollen Zügen zu genießen – selbst, wenn auch mal etwas Ungesundes auf den Teller kommt – ist für Menschen mit einer Essstörung jedoch unvorstellbar. Wenn die Nahrungsaufnahme zur körperlichen, und vor allem seelischen Belastung wird, liegt eine Essstörung in Form einer psychischen Erkrankung vor.

Welche Arten von Essstörungen gibt es?

Zum einen gibt es Essstörungen, die mit übermäßiger Nahrungsaufnahme einhergehen. Dazu gehört z.B. die Binge-Eating-Störung (Essattacken mit Kontrollverlust). Zum anderen gibt es die Nahrungsverweigerung, dazu gehören die Anorexia nervosa (auch als Magersucht bezeichnet) und die Bulimia nervosa (auch Bulimie oder Ess-Brech-Sucht genannt). Alle drei Arten der Essstörung erläutern wir im Folgenden:

Anorexia nervosa: Magersucht

Magersucht ist ein durch eingeschränkte Nahrungsaufnahme, bis hin zur Nahrungsverweigerung hervorgerufenes Untergewicht. Häufig wird die Gewichtsreduktion unterstützt durch Erbrechen, Abführmittelmissbrauch und exzessives Sporttreiben. Betroffene haben eine gestörte Körperwahrnehmung, mit der ständigen Angst zu dick zu sein oder dick zu werden bzw. die Kontrolle über das eigene Essverhalten zu verlieren. Die Erkrankung kommt häufig bei jungen Menschen vor – sowohl bei Mädchen, als auch bei Jungen. Neben den körperlichen Folgen sind die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen häufig nicht sozial integriert und haben Schwierigkeiten, auf emotionaler, kognitiver und zwischenmenschlicher Ebene mit ihren Mitmenschen zu interagieren. Auch der schulische bzw. berufliche Werdegang bleibt daher nicht ohne Folgen. Ebenso leidet oft das gesamte Umfeld mit unter der Erkrankung, insbesondere das familiäre.

Bulimia nervosa: Ess-Brech-Sucht

Bulimia nervosa ist gekennzeichnet durch Essanfälle, die mehrmals pro Woche auftreten können. Betroffene essen dann für sie sonst verboten Lebensmittel und die Kalorienzahl übersteigt deutlich die einer normalen Mahlzeit. Mit nachfolgendem Erbrechen wird versucht, eine Gewichtszunahme durch die Essanfälle zu verhindern. Neben dem Erbrechen sind auch weitere gewichtsreduzierende Maßnahmen Teil der Bulimia nervosa, z.B. übermäßige sportliche Aktivität, Medikamentenmissbrauch (Abführmittel, Diuretika, Appetitzügler, Schilddrüsenhormone) und Diäten, die wiederum einen Essanfall auslösen können. Mit den Essattacken nehmen die Menschen zwar eine sehr große Kalorienzahl innerhalb kürzester Zeit zu sich, durch die Gegenmaßnahmen sind sie aber häufig normalgewichtig. Sie bleiben daher zunächst optisch unauffällig – auch, weil es ihnen lange Zeit gelingt, ihr Verhalten zu verbergen. Diese Erkrankung tritt meist bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen auf. Das oft zu Beginn vorherrschende positive Gefühl von Kontrolle, Euphorie und Leichtigkeit schlägt später in Gleichgültigkeit, Reizbarkeit und depressive Stimmungen um. Betroffene einer Ess-Brech-Sucht leiden daher langfristig nicht nur an körperlichen, sondern auch an psychischen Problemen.

Binge-Eating-Störung

Genau wie bei der Bulimia nervosa kommt es bei der Binge-Eating-Störung zu Essanfällen. Diese sind regelrechte Fressattacken, da die Betroffenen riesige Mengen an Lebensmitteln regelrecht verschlingen, bis ihnen schlecht wird, oder über mehrere Stunden unkontrolliert essen und Beginn und Ende der Anfälle nicht klar definieren können. Nach der Fressattacke werden keine gegenregulatorischen Maßnahmen ergriffen, d.h. ein Erbrechen findet nicht statt. Ausgelöst werden die Essanfälle häufig durch emotionale Reize, z. B. einer negativen Stimmungslage. Das Essen soll Spannungen abbauen und die Stimmung aufhellen. Anschließend haben die Betroffenen aber Schuldgefühle, bedingt durch den Kontrollverlust, und schämen und ekeln sich vor sich selbst. Menschen, die an dieser Essstörung leiden, stehen in der Regel unter einem deutlichen Leidensdruck und sind adipös (fettleibig).

Die genannten Essstörungen sind die bisher anerkannten. Es gibt noch weitere, die aber noch wenig erforscht sind. Dazu zählt z. B. die Orthorexia nervosa, bei der die Betroffenen förmlich davon besessen sind, ausschließlich gesunde Lebensmittel zu essen. Lebensmittel, die vermeintlich krebsfördernd, schadstoffbelastet oder allergieauslösend sind, werden gemieden. Mit der Zeit werden häufig immer mehr Nahrungsmittel komplett vom Speiseplan gestrichen, was auf Dauer zu einer Unterversorgung von Nährstoffen und damit zu Mangelerscheinungen und organischen Erkrankungen führt.

Warum kommt es zu einer Essstörung?

Viele meist junge Menschen, vor allem Frauen, kennen das Gefühl „Ich bin zu dick“. Wenn diese Selbstbewertung die Gedanken wesentlich bestimmt, dadurch das Selbstwertgefühl erheblich gemindert wird und ein schädigendes Verhalten entsteht, spricht man von einer Essstörung. Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Meist ist das Auftreten mehrerer Faktoren der Auslöser. Hierzu zählen:

Störungen in der persönlichen Entwicklung

  • niedriges Selbstwertgefühl
  • erhöhte Ängstlichkeit
  • übertriebener Hang zum Perfektionismus, mit daraus resultierender Überforderung durch Leistungsdruck z. B. in Schule oder Sport
  • belastende Ereignisse im Leben wie z. B. Trennungssituationen (Scheidung, Tod), problematische Familienverhältnisse, Mobbing, Gewalterfahrungen
  • andere psychische Erkrankungen

Gesellschaftliche Einflüsse

  • z. B. schlankheitsbetontes Schönheitsideal

körperliche Einflüsse

  • strenge Diäten
  • Übergewicht
  • genetische Veranlagung

Was können Hinweise auf eine Essstörung sein?

Es gibt viele Anzeichen, die auf eine Essstörung oder deren Entwicklung hindeuten. Die Betroffenen verdrängen die Hinweise aber häufig, sehen lange Zeit selbst keine Probleme und verbergen ihr Verhalten vor anderen. Das macht es so schwierig für Außenstehende, eine Essstörung zu erkennen.

Folgende Anzeichen und Verhalten könnten auf eine Essstörung oder die Entwicklung einer Essstörung hindeuten:

  • Übergewicht oder Untergewicht laut BMI
  • Gewichtsverlauf (z. B. Schnelligkeit der Gewichtsabnahme)
  • Gewichtssorgen bzw. Fehleinschätzung der eigenen Figur
  • Die Gedanken des Betroffenen drehen sich nur noch um das Thema Ernährung und Gewicht
  • ständige Gewichtskontrolle
  • Vermeidung kalorienreicher Nahrungsmittel
  • Ausspucken von Essen
  • Falschaussagen zum Verbergen der Symptomatik
  • schnelles Essen
  • Vermeiden von Essen in Gesellschaft
  • Verstecken von Nahrungsvorräten
  • Vernachlässigung von beruflichen und familiären Pflichten
  • Hamsterbacken (durch angeschwollene Speicheldrüsen aufgrund von häufigem Erbrechen)
  • Zahnschäden (durch den häufigen Kontakt mit Magensäure beim Erbrechen)
  • impulsives und aggressives Verhalten
  • Frieren
  • Hinweise auf Mangelernährung (z. B. erhöhte Infektanfälligkeit, Wachstumsstörungen bei Kindern, Zyklusstörungen bei Frauen, verlangsamter Herzschlag und Stoffwechsel, Sinken von Blutdruck und Körpertemperatur, Magen-Darm-Probleme, brüchige Nägel, trockene Haut, flaumartige Behaarung an Gesicht und Armen)
  • Essanfälle
  • gegensteuerndes Verhalten (die Nahrung rasch wieder aus dem Körper entfernen), z. b. Erbrechen, Fördern des Stuhlgangs, exzessives Sporttreiben, Einnahme von Schilddrüsenhormonen um den Grundumsatz zu erhöhen, Weglassen von Insulin bei Typ-1-Diabetikern, um den Zuckerverlust über den Urin zu fördern.
  • Menschen, die an Orthorexia nervosa leiden, verurteilen ihre Mitmenschen ständig aufgrund ihres Essverhaltens

Körperliche und psychische Folgen einer Essstörung

Die Einschränkung der Nahrungsaufnahme kann vor allem bei Kindern die körperliche Entwicklung stören. Das Gehirn wird nicht adäquat entwickelt, was ein Risikofaktor für spätere psychische Erkrankungen ist. Bei Jugendlichen und Erwachsenen treten hormonelle Störungen auf, fehlende Brustentwicklung bei Mädchen, Ausbleiben der Monatsblutung bei Frauen und Potenzprobleme bei Männern. Die Knochendichte vermindert sich, was bei übermäßigem Sport die Gefahr von Knochenbrüchen erhöht. Außerdem werden durch die gesteigerte sportliche Aktivität die Sehnen und Gelenke überlastet. Häufiges Erbrechen führt zu Zahnschäden, ein Abführmittel- und Diuretikamissbrauch führt ebenso wie Erbrechen zu einem gestörten Elektrolyt- und Wasserhaushalt und stört die Nierenfunktion. Kommt es dauerhaft zu einem Mineralstoffmangel, können auch Herzrhythmusstörungen auftreten. Damit einhergehende schwere Verstopfungen können zum Darmverschluss führen. Eine erfolgreiche Behandlung ist extrem schwierig und Bedarf einer Abstimmung aller Beteiligten (Therapeut für Essstörungen, Beratungsstelle, Klinik, Hausarzt, Ernährungsberater, Familie und andere Bezugspersonen).

Bei der Binge-Eating-Störung entstehen Folgeschäden durch die meist begleitende Adipositas. Z. B. Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Überbeanspruchung von Gelenken und Muskeln. Sinnvoll sind daher Gewichtsreduktionsmaßnahmen, die gleichzeitig auch verhaltenstherapeutische Behandlungselemente enthalten.

Bei allen Essstörungen können psychische Störungen wie Depressionen, Angststörungen, Zwangserkrankungen und Persönlichkeitsstörungen die Folge sein. Auch das Risiko zum Selbstmord ist bei Essstörungen stark erhöht. Psychische Erkrankungen können umgekehrt auch eine Essstörung auslösen.

Was kann ich tun?

Eine Essstörung zu heilen ist sehr schwer. Besonders wichtig ist daher die Vorbeugung. Da Essstörungen meist im Kindes- und Jugendalter beginnen, kann das Elternhaus einen großen Beitrag zur Vorbeugung leisten. Dazu gehören z. B. regelmäßige, ausgewogenen, gemeinsame Mahlzeiten, der offene Umgang mit negativen Gefühlen (Essstörungen können ein Weg sein, mit starken Emotionen fertig zu werden), gelassener Umgang der Eltern mit dem eigenen Körper und dem Gewicht (nicht selbst ständig Diät halten und die eigene Figur kritisieren), Leistungen nicht zu hoch bewerten (Kinder könnten das Gefühl haben, perfekt sein zu müssen, um geliebt zu werden).

Wer bei sich selbst eine Essstörung vermutet, sollte auf jeden Fall darüber sprechen. Das ist für die Betroffenen aber häufig ein Problem, weil sie oft das Gefühl haben, dass niemand Verständnis für ihre Essstörung hat. Sie versuchen deshalb, sie zu verbergen. Wer ungern zu seinem Hausarzt oder zu einem Psychotherapeuten gehen möchte, kann zuerst einmal das Gespräch in einer Beratungsstelle, die Erfahrungen im Umgang mit Essstörungen haben, suchen.

Patienten mit extremer Gewichtsreduktion sind oft nicht bereit, etwas zu verändern. Die Gefährdung, die die Erkrankung mit sich bringt, wird von den Betroffenen häufig geleugnet oder nicht erkannt. Das macht eine Behandlung besonders schwierig und ist für Angehörige und Freunde eine starke Belastung, sie fühlen sich oft sehr hilflos. Angehörige sollten das Verhalten aber auf keinen Fall verurteilen. Es können beim Betroffenen Scham- und Schuldgefühle entstehen, die einen zusätzlichen Widerstand auslösen. Eltern, Partner und andere nahestehende Angehörige sollten sich über Essstörungen informieren, sich Hilfe in Beratungsstellen suchen und versuchen, die Betroffenen zu einer Behandlung zu motivieren und darin unterstützen, sich professionelle Hilfe zu holen.

Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Behandlung ist umso größer, je frühzeitiger die Behandlung beginnt. Werden die Auswirkungen der Essstörung immer gravierender, können sie im weiteren Verlauf zur lebensbedrohlichen Situation werden. Kommt es zu einer akuten körperlichen oder psychischen Gefährdung, kann eine Zwangsbehandlung notwendig sein.

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